Die 70er Jahre ganz persönlich (Artikelnummer: )

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Woran erinnern Sie sich, wenn Sie an dieses Jahrzehnt zurückdenken? 50 Jahre sind eine lange Zeit. Viel Zeit, Dinge zu überdenken, neu einzuordnen - und es war ja auch ein sehr viel jüngeres Ich, an das man sich da erinnert.

Die Autoren dieses Buches sind unterschiedlichen Alters, haben sehr unterschiedliche politische Standpunkte und Lebensläufe. Sie sind, und auch das macht sich in ihren Erinnerungen deutlich bemerkbar, unterschiedlichen Geschlechts. Sie geben uns daher auf diese Frage sehr unterschiedliche – eben ganz persönliche – Antworten.

Ihre Aufzeichnungen befassen sich oft mit der damaligen Politik, natürlich, denn die 70er waren eine ganz besondere politische Phase. Schulpolitik, Aufrüstung, Emanzipation, Veränderungen in der Arbeitswelt sind grundlegende Themen, die immer wieder aufgegriffen werden – aber aus verschiedenen Blickwinkeln.

Autoren und ihre Themen:
Richard Meng: Der große Umbruch
Christian Schwarz-Schilling: Bildungspolitik und andere Kämpfe in den 70ern
Rolf Gnadl: Gebietsreform aus der Backstage-Perspektive
Rolf Gnadl: Ölkrise und Sonntagsfahrverbote 1973
Volkmar Stein: Meine siebziger Jahre
Dieter Jentzsch: Die Büdinger Altstadt in den 1970ern
Tim Besserer:  Mauersegler, Rotschwänzchen und Kriegsdienstverweigerer
Tim Besserer:  Keller. Jugendraum. Stadtjugendparlament.
Udo Stern: Ein Kind der 70er Jahre
Sieglinde Huxhorn-Engler: Wagnisse und Grenzüberschreitungen
Angelika Döpper-Henrich: Großes würde uns im neuen Jahrzehnt erwarten
Reinhild Latrille: Die 1970er Jahre als Backfisch/Teenager und Studentin
Horst Decker: Meine wilden 70er
Inge Schneider: Die 70er: Jahre der Krise, des Aufbruchs und Wandels
Bernd Schröder: Als ich noch ein Brett vorm Kopf hatte
Ortwin Heinrich: In die 70er Jahre
Manfred Egloff: Abgänge und Neuanfänge in Ober-Mockstadt
Susanne Cott: Wackeldackel
„Die 70er Jahre - Ein Lebensgefühl  in orange“ Die Sonderausstellung im Heuson-Museum

272 Seiten

Rezension von Prof. Dr. J. Friedrich Battenberg in "Archiv für Hessische Geschichte und Altertumskunde" des Historischen Vereins für Hessen

Nur zögernd wendet sich die Geschichtsschreibung der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zu. Eine Gesamtbewertung wird erst dann möglich sein, wenn die Archive auch für die jüngste Vergangenheit geöffnet werden können und Gesichtspunkte des Datenschutzes nicht mehr beachtet werden müssen, weil die Betroffenen nicht mehr leben. Für die Zeit der letzten fünfzig Jahre jedoch muss man weitgehend noch auf „Ego-Dokumente“, Schilderungen der Zeitgenossen, zurückgreifen, die aus eigenem Erleben ihre subjektiven Eindrücke wiedergeben können.

Natürlich gibt es eine Überfülle an relevantem Material – seien es amtliche Dokumente oder Zeitungsberichte, Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs, wie sie inzwischen in die örtlichen Museen gelangen, oder Aufzeichnungen aus privaten Nachlässen. Wer, wie der Rezensent, seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die politische und gesellschaftliche Szene aufmerksam verfolgt hat, aktiv dabei bei Demonstrationen gegen Rechtsradikalismus (NPD), die Notstandsgesetzgebung, gegen Atomkraft und für Frieden mitgemacht hat, auch während seines Studiums in Frankfurt mittendrin in der dortigen Studentenbewegung stand, könnte Einiges zur Kenntnis der Zeit beitragen – aber eben nur aus einem subjektiven Blickwinkel heraus. – Der vorliegende Band will mit einer Reihe von Zeitzeugenschilderungen zu unterschiedlichen Themen, die damals eine besondere Rolle gespielt haben, und begleitend zu einer Ausstellung über die siebziger Jahre im Büdinger Heuson-Museum charakteristische Aspekte zu dem damals vorherrschenden „Lebensgefühl in Orange“ (Susanne Cott, im abschließenden Beitrag des Bandes; von ihr auch der entsprechend farblich und stilistisch gestaltete Umschlag) die Besonderheiten der Siebziger des vorigen Jahrhunderts herausarbeiten. Dazu haben in jeweils kleineren Beiträgen jüngere und ältere Zeitzeugen Stellung bezogen – so Richard Meng, Christian Schwarz-Schilling, Rolf Gnadl, Volkmar Stein, Dieter Jentzsch, Tim Besserer, Udo Stern, Sieglinde Huxhorn-Engler, Angelika Döpper-Heinrich, Reinhild Latrille, Horst Decker, Inge Schneider, Bernd Schröder, Ortwin Heinrich, Manfred Egloff und Susanne Cott. Es geht um die damalige Bildungspolitik, die Gebietsreform, die Ölkrise mit den Sonntagsfahrverboten als Folge daraus, um Kriegsdienstverweigerung, Jugend- und Studenten-Kultur und viele persönliche Akzente, wie sie von den Autorinnen und Autoren des Bandes berichtet werden. Der „Zeitgeist“ kommt insgesamt gut zum Ausdruck, gewiss aus der Sicht von Büdinger Bürgern und Bürgerinnen (man hätte sich hier einige biographische Angaben zu diesen gewünscht, denn außerhalb Büdingens sind eigentlich nur der vormalige Minister Schwarz-Schilling und der Landrat Gnadl bekannt), doch fällt der Blick zugleich auf Ereignisse, die weit über die engere Region hinausgingen, bisweilen sogar die „ganze Welt“ in Atem hielten. – Ein schöner Band, der auch andernorts Nachahmung verdient.

J. Friedrich Battenberg

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