Rezension von Prof. Dr. J. Friedrich Battenberg in "Archiv für Hessische Geschichte und Altertumskunde" des Historischen Vereins für Hessen

Nur zögernd wendet sich die Geschichtsschreibung der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zu. Eine Gesamtbewertung wird erst dann möglich sein, wenn die Archive auch für die jüngste Vergangenheit geöffnet werden können und Gesichtspunkte des Datenschutzes nicht mehr beachtet werden müssen, weil die Betroffenen nicht mehr leben. Für die Zeit der letzten fünfzig Jahre jedoch muss man weitgehend noch auf „Ego-Dokumente“, Schilderungen der Zeitgenossen, zurückgreifen, die aus eigenem Erleben ihre subjektiven Eindrücke wiedergeben können.

Natürlich gibt es eine Überfülle an relevantem Material – seien es amtliche Dokumente oder Zeitungsberichte, Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs, wie sie inzwischen in die örtlichen Museen gelangen, oder Aufzeichnungen aus privaten Nachlässen. Wer, wie der Rezensent, seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die politische und gesellschaftliche Szene aufmerksam verfolgt hat, aktiv dabei bei Demonstrationen gegen Rechtsradikalismus (NPD), die Notstandsgesetzgebung, gegen Atomkraft und für Frieden mitgemacht hat, auch während seines Studiums in Frankfurt mittendrin in der dortigen Studentenbewegung stand, könnte Einiges zur Kenntnis der Zeit beitragen – aber eben nur aus einem subjektiven Blickwinkel heraus. – Der vorliegende Band will mit einer Reihe von Zeitzeugenschilderungen zu unterschiedlichen Themen, die damals eine besondere Rolle gespielt haben, und begleitend zu einer Ausstellung über die siebziger Jahre im Büdinger Heuson-Museum charakteristische Aspekte zu dem damals vorherrschenden „Lebensgefühl in Orange“ (Susanne Cott, im abschließenden Beitrag des Bandes; von ihr auch der entsprechend farblich und stilistisch gestaltete Umschlag) die Besonderheiten der Siebziger des vorigen Jahrhunderts herausarbeiten. Dazu haben in jeweils kleineren Beiträgen jüngere und ältere Zeitzeugen Stellung bezogen – so Richard Meng, Christian Schwarz-Schilling, Rolf Gnadl, Volkmar Stein, Dieter Jentzsch, Tim Besserer, Udo Stern, Sieglinde Huxhorn-Engler, Angelika Döpper-Heinrich, Reinhild Latrille, Horst Decker, Inge Schneider, Bernd Schröder, Ortwin Heinrich, Manfred Egloff und Susanne Cott. Es geht um die damalige Bildungspolitik, die Gebietsreform, die Ölkrise mit den Sonntagsfahrverboten als Folge daraus, um Kriegsdienstverweigerung, Jugend- und Studenten-Kultur und viele persönliche Akzente, wie sie von den Autorinnen und Autoren des Bandes berichtet werden. Der „Zeitgeist“ kommt insgesamt gut zum Ausdruck, gewiss aus der Sicht von Büdinger Bürgern und Bürgerinnen (man hätte sich hier einige biographische Angaben zu diesen gewünscht, denn außerhalb Büdingens sind eigentlich nur der vormalige Minister Schwarz-Schilling und der Landrat Gnadl bekannt), doch fällt der Blick zugleich auf Ereignisse, die weit über die engere Region hinausgingen, bisweilen sogar die „ganze Welt“ in Atem hielten. – Ein schöner Band, der auch andernorts Nachahmung verdient.

J. Friedrich Battenberg

Zum Buch Die 70er Jahre ganz persönlich

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